„Sieh mal die Kleine da drüben. Die ist ja heiß.“
„Ih, die ist ja viel zu fett. Dass die sich überhaupt traut etwas bauchfreies zu tragen. Da schwabbelt ja alles.“
„Na besser als deine magersüchtige Freundin. Das ist ja pervers, wenn die im Bikini unterwegs ist. Man sieht jede einzelne Rippe.“
„Na klar sieht man die. Weil sie eben nicht so fett ist wie die da drüben. Schau dich mal um, Rubens ist gestern.“
Jedes Gramm ist zuviel. Am besten sieht eine Frau aus, wenn sie nur noch ein Skelett mit ein paar Hautfetzen ist. Diese dürfen aber auf keinem Fall glänzen. Könnte ja Fett sein. Schon Kleinkinder müssen Diät machen und bekommen eine spezielle Ernährung, die verhindert, dass sie dick werden. Begründet wird es mit der Möglichkeit, dass das Kind gehänselt werden könnte. Dicke Kinder haben es sowieso schwerer. Im Sport, beim Freunde finden, beim Schönheitswettbewerb.
Habt ihr schon einmal dünne Eltern mit dicken Kindern gesehen? Dicke Eltern mit dünnen Kindern? Abgesehen von einigen Ausnahmen sehen Kinder oft so aus wie ihre Eltern. Sind diese etwas fülliger, machen sie sich auch nicht so viele Sorgen, wenn ihre Kinder es sind. Bei schmalen Eltern ist es sofort eine Katastrophe, wenn die Kinder ein paar Gramm zuviel auf den Hüften haben.
Es ist pervers bei Kindern von Fett auf den Hüften zu sprechen und es ist pervers, wie manche Kinder aussehen. Immer wieder fallen sie mir in der U-Bahn auf. Gerade letztens ein Junge, der eine McDonalds-Tüte auf dem Arm hatte. Gefüllt mit Hamburgern und Pommes. In der Hand ein halber Liter Cola. Seine Wurstfinger verschwanden immer wieder in der Tüte und stopften das all die leckeren Dinge in sein kleines Mäulchen. Dass ihm dabei schon die Soße aus den Mundwinkeln lief und auf sein Shirt tropfte viel ihm gar nicht mehr auf. Er merkte auch nicht, wie ich in von der Seite beobachtete, musterte. Erziehungsberechtigte oder Freunde konnte ich keine ausmachen. Der Zeit nach kam er gerade aus der Schule und war nun auf dem Nachhauseweg. Zuvor noch schnell zu „Mecces“. Weil es ja so lecker ist. All die Geschmacksverstärker, die den Gaumen umspielen. Der saftige Abgang und die kräftige Süße des Colas. Welch ein Genuss.
Ich schaue weg. Warum er das macht? Warum das Kind so ist? Seine Eltern oder die Gesellschaft? Beides?
Früher war ich gerne beim McDonalds. Auch bei Burgerking. Schnell, preiswert und lecker. Auch heute bin ich noch manchmal dort. Ich genehmige mir auch öfters eine Pizza unterwegs. Oder ein Kebap. Wenn ich selbst koche habe ich nichts gegen ein bisschen mehr Butter. Es muss immer zum Gericht passen, doch Fett habe ich nie aus der Küche verbannt. Dafür ist es zu gut.
Was unterscheidet mich von dem Jungen?
Ein paar Meter weiter sitzt ein Mädchen. Auf den Boden blickend. Etwas unglücklich. Sie hat dunkle Augenringe, ein weißes Shirt und enge Jeans. Ich würde sie gerne fragen, wie sie sich fühlt. Wie viele Kilo sie wiegt und für wen. Sie gehört zu den Menschen, die in der Früh ein Glas Wasser trinken, zu Mittag vielleicht ein Stück Obst oder auch nur einen kleinen Fruchtsaft. Am Abend ein Stück Brot. Sie hat keine Fressanfälle und bringt sich nicht zum erbrechen. Sie ist nur wenig. Sehr wenig. Ihr Körper ist heruntergekommen. Hat all seine natürlichen Rundungen verloren. An ihrer verkrampften Sitzweise sieht man, dass der Druck auf ihre Knochen nicht durch einen kleinen Fettpolster verteilt wird. Punktueller Druck.
Es gibt einen Witz. Der Dicke sagt zum Dünnen: „Wenn man dich so ansieht, könnte man meinen, dass eine Hungersnot ausgebrochen ist.“ Der Dünne zum Dicken: „Und wenn man dich ansieht, weiß man auch wer daran Schuld ist.“
Ich habe ihn früher nicht lustig gefunden und kann auch heute nicht drüber lachen. Dennoch drückt er etwas aus. Wir haben genug Nahrungsmittel, schaffen es aber nicht damit umzugehen. Man schiebt die Schuld auf alles mögliche. Die Gesellschaft, die Erziehung, die Werbung, Gruppendruck und Liebe. „Für dich nehme ich ab.“ „Ich will nur, dass du dich wohl fühlst.“
Im Zentrum steht ein Schönheitsideal. Eines?!
Aus den Hochglanzmagazinen lächeln uns gephotoshopte Models mit und ohne Magersucht an. Manche Unternehmen geben vor möglichst natürliche Menschen zu verwenden und machen das nicht einmal so schlecht. Im Fernsehen sehen wir Shows, in denen gut geformte Menschen weniger gut geformten Menschen zeigen wie sie sich selbst formen können. Im Freundeskreis gibt es jene, die essen können ohne Ende und dennoch nicht zunehmen. Wir kennen Personen, die den gephotoshopten Models ähnlich sehen und welche, die besser in eine Fernsehshow für Übergewichtige gehören. Wir sind politcally correct und sagen, dass das doch alles normal wäre. Wir empfehlen den einen mehr zu essen und den anderen Sport. Wir lesen von tausenden Diäten, die in kürzester Zeit die Kilos purzeln lassen und von anderen, nach denen man am besten gleich sein ganzes Leben ändert, da man sonst in den nächsten fünf Jahren einen Herzinfarkt bekommt. Das Fitnesstudio lockt mit günstigen Preisen und der Lebensmittelhandel mit Produkten ohne Fett.
Wir dürfen keinen Zucker mehr essen und nichts mit Fett essen. Süßungsmittel sollen schlecht sein und Getreide auch. Uns wird etwas von Ernährungspyramiden erzählt und wir müssen Sport machen. Neu entwickelte Sportarten, die ganz viele Muskeln beanspruchen und besonders viel Fett verbrennen. Wir müssen supertolle Spezialgetränke trinken und uns an spezielle Geräte anschließen, damit auch alles überwacht wird. Am Ende stellen wir uns doch nur auf die Waage, drehen uns einmal vorm Spiegel und sind noch immer unzufrieden. Man sagt uns, dass Muskeln ja schwerer als Fett sind. Man könnte auch sagen, dass sie kleiner sind, das tut man aber nicht.
In unserem Kopf ist noch immer das Bild vom gephotoshopten Model.
Ich schaue wieder zu dem Jungen. Er schleckt sich seine Finger ab. Dann sieht er mich und starrt mich an. Ich lächle gespielt und schau zum Mädchen. Es nimmt einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Auch ihr Blick trifft mich. Noch ein gezwungenes lächeln, dann steige ich aus. Meine Hand fährt über meinen Bauch und zieht durch das Shirt daran. Ich fühle das Fett zwischen meinen Fingern.
Ich glaube nicht daran, dass man schön ist, nur weil man sich in seinem Körper wohl fühlt. Auch der dicke Junge hat sich wohl fühlen können. So etwas kann man sich einreden. Bis der Kopf es glaubt. Manche Eltern unterstützen so etwas. Bewusst oder unbewusst.
Mein BMI entspricht dem Idealwert. Wohl fühle ich mich deshalb nicht unbedingt. Ich mache zu schnell schlapp, wenn ich laufe. Ich sehe meinen Bauch im Spiegel und schäme mich. Auch dafür, dass ich so unzufrieden mit mir bin. Andere Menschen behaupten dennoch, dass mein Körper gut aussieht. Das ist nett und politically correct. Bringt mir aber nichts. Ich weiß, dass mein Körper nicht so ist, wie er sein sollte. Das kann ich mir auch von einem Arzt bestätigen lassen.
Was ist Schönheit?
Gesund ist schön.
Update: Denis sagt:
Schönheit ist in einem Lächeln und in einem Augenblick.
Stimmt.
Dominik hat eine Aktion gestartet. Abnehmen 2.0. Ich bin dabei. Für die Gesundheit.
Bild: sean dreilinger
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