Donnerstag Nachmittag. Ich sitze im Büro und werfe einen kurzen Blick in Twitter. Draußen ist es kühl, ein leichter Wind weht, als ich die Nachricht lese. Das Audimax wurde besetzt. #unibrennt. Ich schaue noch einmal hin. Sofort suche ich nach weiteren Meldungen mit dem Hashtag. Studenten haben Österreichs größten Hörsaal besetzt. Ich überlege, ob ich noch hinschaue, fahren dann aber doch in die Wohnung. Im Laufe des Abends schlagen immer mehr Tweets zum Thema auf, sodass ich am Freitag selbst hinschauen musste.
Photo (cc-by-nc) Richard Pyrker
Die Geschichte wie sich Studierende dezentral organisiert haben und ich ihnen half hunderttausende Menschen zu erreichen. Eine Chronik der Ereignisse könnt ihr im Wiki oder Kellerabteil nachlesen. Ich werde euch von meinen Erlebnissen erzählen und ein paar Einblicke zur internen und externen Kommunikation bieten.
Hinweis: Normalweise ist das für mich selbstverständlich, aber in diesem Fall besonders wichtig. Alles in diesem Blogbeitrag ist meine Meinung und nicht die der Studierenden. Es handelt sich um eine heterogene Gruppe, die unterschiedliche Ziele und Meinungen hat. Es kann nicht eine Person für alle sprechen.
Die Hashtag Diskussion
Seit Donnerstag befindet sich der Hashtag #unibrennt in den deutschen Twittercharts. Er ist am Beginn der Besetzung am Donnerstag entstanden und hat sich bis heute gehalten. Wie bereits erwähnt habe ich durch Twitter von der Besetzung erfahren. Als ich am Freitag im Audimax war, habe ich einige Studierende zu Twitter befragt. Ob sie es kennen und ob sie es nutzen. Die meisten kannten es, aber nur wenige haben es genutzt. Viele haben durch Freunde von der Besetzung erfahren. Oder über Facebook. In meinen Augen hat der Account @unibrennt eine wichtige Rolle gespielt. Die Person dahinter hat übrigens zuvor nicht getwittert und ist durch #iranelection dazu inspiriert worden bei der Besetzung über Twitter nach außen zu kommunizieren. Doch dies nur am Rande. #unibrennt hat sich also rasend verbreitet. @Koprax, welchen ich im Audimax traf, hat dann dazu aufgerufen #unsereuni zu nutzen, weil es positiv ist im Vergleich zu dem leicht misszuverstehenden #unibrennt. Es bedeutet, dass es Zeit ist, dass es dringend ist. Nicht, dass die Uni brennt. Doch die klassischen Medien mögen es. Ich bin auch der Meinung, dass #unsereuni ein besserer Hashtag ist, weil er mehr aussagt. Weil er zeigt, dass es unsere Uni ist und die Politik damit nicht machen kann was sie will. Mehr zum Duell.
Inhalte vs. Party
In den klassischen Medien wird den Besetzern vorgeworfen, dass sie nur Party machen würden. Als ich am Freitag in die Uni kam, lag Müll herum, die Luft im Audimax selbst war stickig, weil so viele geraucht haben, meine Augen brannten nach kurzer Zeit und es wurde laut Musik gespielt. Doch dann war ich das erste Mal bei einem Plenum dabei. Das Audimax füllte sich mit Menschen und es wurden einzelne Programmpunkte durchgegangen. Was passiert ist, was noch passieren muss. Jeder konnte sich zu Wort melden, gemeinsam wurde abgestimmt. Erst noch durch klatschen, schon bald durch Handzeichen, als der Antrag dazu eingebracht wurde. Das Orga-Team wechselt jeden Tag. Jeder solle in einer Arbeitsgruppe mitmachen, jeder kann eine neue aufmachen. Es wurde diskutiert und später in den Arbeitsgruppen an Inhalten gearbeitet. Inzwischen gibt es 82 Arbeitsgruppen, manche haben sich wieder aufgelöst, andere gerade neu gegründet. Nach dem mehrstündigen Plenum, spielte eine Band im Audimax. Es wurde Bier getrunken und gefeiert.
Ja, die Studierenden feiern im Audimax.
Ja, die Studierenden arbeiten konstruktiv.
Ich muss dazu sagen, dass ich mich nicht vollkommen wohl in der Nacht dort gefühlt habe, aber es kam bisher nicht zu gröberen Ausschreitungen. Aber die Stimmung ist ein Wahnsinn. Produktiv untertags und ausgelassen in der Nacht.
Ideologie und Politik
Ein Punkt den ich explizit ansprechen möchte, weil er mich besonders stört. Ich habe schon geschrieben, dass ich mit vielen in der Bewegung nicht zufrieden bin, aber diese ist eine der problematischen Dinge. Ideologisch durchdrungene Organisation und Einzelpersonen, die die Besetzung für sich missbrauchen wollen. Sie wissen wie man Leute für sich gewinnt, sie bekommen tosenden Applaus und zugleich dreht es mir den Magen um. Es mögen nette Forderungen sein, aber es geht hier um Bildung und nicht um die Einführung des Kommunismus. Selbst wenn eine Frau auf der Bühne steht und davon spricht, dass dies ein linker Raum ist, muss ich die Augen verdrehen. Es geht nicht um links oder rechts, nicht um neoliberal, kommunistisch oder hinduistisch. Es geht auch nicht um Feminismus oder Sexismus. Es geht um die Bildung. Um mein Studium. Ich will nicht, dass solche Leute die Bewegung in eine Richtung ziehen, wo sie nicht hingehört. Selbst wenn ich in einigen Punkten mit ihnen übereinstimme ist es falsch, sich jetzt damit zu beschäftigen. Man sollte sich auf die Dinge konzentrieren, wegen denen die Besetzung entstanden ist. Ich verstehe, dass jeder seine Ziele hat und andere Probleme mit dem System, aber wenn man sich auf die größten gemeinsamen Nenner konzentrieren kann erreicht man mehr, als wenn jeder versucht alle für seine extremen Gedanken zu gewinnen. Ich weiß von vielen Studierenden, die wegen diesen Gruppierungen nicht an der Besetzung teilnehmen, sie gar verurteilen. Weil die Bildung untergeht in einem Sumpf aus Ideologie und Politik.
Volle Transparenz
Schon am Freitag habe ich mit meinem Handy einen Livestream gemacht, um der Welt zu zeigen was passiert. Am Samstag war ich dann mit mehr Equipment vor Ort und habe die Plenarsitzungen komplett übertragen. Die Zuseherzahlen sind im Sekundentakt gestiegen. Twitter hat den nötigen Boost dazu gegeben und so haben mehrere hundert Zuschauer den Stream verfolgt. Am Abend habe ich mich dann mit einigen Leuten zusammengesetzt und die Website besprochen, welche neu gemacht werden sollte. Über Nacht habe ich dann die neue Seite aus dem Boden gestampft. unsereuni.at. Diese wurde seitdem fleißig weiterentwickelt und mit Inhalten befüllt. Plötzlich sehen die Studenten einen Sinn in den Dingen, die für mich selbstverständlich sind. Sie interessieren sich dafür und ich helfe ihnen gerne weiter. Innerhalb von drei Tagen hatte die Seite über 200.000 Zugriffe. Der Livestream wurde auch verbessert. Direkt an die Technik des Audimax angeschlossen und als ich am Montag krank wurde, habe sie eine bessere Kamera aufgetrieben und bis zu 3000 Menschen haben den Stream zugleich geschaut. Ich habe mich dann noch ans ustream Hauptquartier gewendet und so wurden wir zu einem gefeaturten Channel, der nun auch übers iPhone abrufbar ist. In vier Tagen hatte der Channel über 140.000 Zugriffe.
Immer wieder kam Kritik, dass man das nicht alles zeigen sollte. Dass man zumindest den Ton abschalte. Dass die Staatspolizei das doch auch schauen würde. Ein klassisches Denken. Angst. Auch den Chat wollten einige abschalten, weil dort viele Beleidigungen und Kritik an der Besetzung geäußert wurden. Doch ich habe mich gewehrt. Spätestens als Misik in seinem Vortrag davon gesprochen hat, dass viele Journalisten nun vor dem Computer sitzen und gespannt den Livestream verfolgen, nicht weil es ihr Job ist, sondern weil sie merken, dass da etwas großes passiert, sollte den meisten klar sein, wie wichtig der Livestream ist. Und mit jeder Sendung werden es mehr Zuschauer. Den Chat habe ich dann heute auch noch in den Griff bekommen, indem ich aktiv daran teilgenommen habe, offen auf Kritiker zugegangen bin und Beleidigungen konsequent gelöscht habe.
Ich glaube, dass man auch die Partys zeigen sollte. Die Menschen müssen lernen, dass man nicht mehr nur durch Pressekonferenzen kommunizieren kann. Die Leute sitzen drinnen und twittern. Anstatt zu versuchen, zu verhindern, dass Informationen nach außen gelangen, die man kritisieren könnte, sollte man ein komplettes Bild geben und die Öffentlichkeit, die man dadurch bekommt nutzen. Jeder Kritiker ist ein Potential für Verbesserungen und in Folge möglicherweise sogar ein Unterstützer. Ich gehe auch davon aus, dass die Polizei zumindest einen Informanten ständig vor Ort hat. Es sind 2000 Studenten, die die Universität besetzen und radikale Gruppierungen. Sollte da etwas eskalieren, wollen die das wissen. Der Livestream zeigt lediglich, dass es nicht schlimm ist. Während man sich sonst Gedanken machen würde, was da hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Die Menschen interessieren sich dafür, was da vor sich geht und man sollte sich nicht darauf verlassen, dass klassische Medien umfassend und neutral darüber berichten.
Dezentrale Organisation
Es gibt kein Mastermind, keinen Anführer der Besetzung. Selbst wenn man das Organisationsteam, das sich täglich neu bildet ausschalten würde, ginge die Bewegung weiter. Die einzelnen Personen handeln weitgehend autonom und organisieren sich dezentral. Die Arbeitsgruppen stehen im ständigen Austausch und durch das Wiki vernetzt man sich auch immer besser ortsungebunden. Die Leute übernehmen Verantwortung, es wird darauf geachtet, dass nichts beschädigt wird, einmal pro Tag wird geputzt, es hat sich eine Küchenteam gebildet, das die Besetzer mit Essen versorgt, ein IT-Team baut Infrastruktur auf und vieles mehr. Wenn etwas benötigt wird, twittert es jemand und es spielt keine Rolle, ob der Person viele Menschen folgen, weil man dem Hashtag folgt. Man ruft in die Menge (materiell oder virtuell) und bekommt in kurzer Zeit eine Antwort. Die Menschen achten aufeinander, jeder bringt seine Fähigkeiten ein. Es ist ein soziales Experiment mit großen, realen Zielen. Es ist eine unaufhaltbare Welle, die man lediglich durch totale Überwachung und Unterdrückung zurückdrängen könnte. Jeder einzelne hat eine Stimme und die nutzt er auch. Dadurch kommen viele Dinge auf, die meiner Meinung nach, nicht dort hingehören, aber darin liegt auch viel Kraft. Ziele die sich überschneiden halten den Schwarm zusammen.
Eine Räumung des Audimax kann die Bewegung nicht aufhalten. Zu stark sind die einzelnen Personen involviert. Jeder ist sein eigener Anführer der sich mit den anderen verbündet hat. Wenn das Audimax heute geräumt wird, sind morgen doppelt so viele Menschen dort. Das Audimax müsste permanent bewacht werden und selbst dann würde die Bewegung einfach ein anderes Gebäude übernehmen. Erst wenn der Großteil befriedigt ist, besteht die Möglichkeit, den Rest zu stoppen. Jedenfalls wenn die Leute nicht aufgeben, weil ihnen ideologisch druchtränkte Gruppen die Energie rauben.
Wie es weitergehen kann
Ich halte es für wichtig mehr Menschen zu erreichen. In immer mehr Unis werden Hörsäle besetzt. Es gibt alle möglichen Solidaritätsbekundungen und ich wurde schon mehrmals gefragt, was noch gebraucht wird, ob es schon ein Spendenkonto gibt. Die Unterstützung wächst und daran muss man arbeiten. Kritiker ins Audimax einladen. Ihnen eine Plattform bieten, sich dazu zu äußern. Offen damit umgehen. Materiell sowie virtuell. Meinungen akzeptieren, Kompromisse finden. Gemeinsame Ziele definieren.
Für mich ist besonders spannend, ob man klassische Medien braucht. Ob diese die Bewegung von alleine unterstützen oder erst, wenn in der Bevölkerung genug Zuspruch da ist.
Ich werde weiterhin daran arbeiten weitere Kommunikationskanäle aufzumachen, helfen den Fluss von Informationen zu ermöglichen.
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