Social vs. Service

Ich habe den ganzen Vormittag Artikel über app.net gelesen und mich mit dem Ding selbst beschäftigt. Als ich genügend Gründe fand, weshalb ich dabei sein wollte und versuchte es finanziell zu unterstützen, konnte ich nicht, weil ich momentan keine Kreditkarte habe.

Was ist app.net?

Das ist nicht ganz klar. Auch hat sich seit des Beginn die Richtung geändert. Es handelt sich um ein API Service. Im Grunde Twitter mit 250 Zeichen. Zentrales Unterscheidungsmerkmal: Keine Werbung. Niemals. Dafür muss man 50$ pro Jahr zahlen, um Mitglied zu werden. Entwickler zahlen das doppelte. Bis übermorgen möchte man 500.000$ gesammelt haben (Account Vorauszahlungen) und somit etwa 10.000 Mitglieder. Schafft man das nicht, wird das Geld nicht eingesammelt und das Projekt eingestampft. Oder so.

Nun bin ich schon länger Befürworter von Diensten mit Premium Accounts. Das sichert ihr Überleben meist besser als werbefinanzierte Modelle. Außerdem, was auch eines der Prinzipien hinter app.net ist, stellt der Dienst die User in den Vordergrund und nicht die Werbekunden. Bei Twitter ist aktuell das Problem, dass Drittanbietern abgeraten wird Clients zu bauen. Man möchte, dass alle User die offiziellen Clients nutzen. Möchte ich nicht. Ich nutze lediglich den offiziellen auf dem Mac. Aber der wird schon lange nicht mehr richtig unterstützt, weil man dort lieber auf Tweetdeck setzt, das man gekauft hat. Ein Grund für diese Maßnahmen ist das wiedererlangen von Kontrolle über die Userexperience und somit auch bessere Möglichkeit Werbung und ähnliches einzublenden. Ich bin sofort bereit ein paar Euro pro Monat zu zahlen, damit ich weiterhin vollen API write/read access habe und meinen geliebten Tweetbot am iPhone und vielleicht auch bald am Mac nutzen zu können.

Dalton, der Gründer von app.net, glaubt/hofft durch das 50$ Membership Modell Unabhängigkeit zu erlangen. Aber app.net ist von einem Netzwerk Effekt abhängig, welchen andere Services, mit denen er sich vergleicht, nicht haben. Spotify kann ich wunderbar alleine nutzen. Außerdem gibt es einen free Account mit dem man eine gewisse Anzahl an Stunden pro Monat kostenlos hören kann. Github ist grundsätzlich free und nur private Repositories kosten. Pinboard (hat er bisher nicht genannt, glaube ich) bezeichnet sich als anti social. Außerdem kostet es einmal statt immer wieder, wenn man nur das reine bookmarking nutzt. Instapaper (auch nicht genannt) ist grundsätzlich kostenlos und wird auch alleine genutzt.

Ich habe app.net eingangs als API Service bezeichnet. Das stimmt. Aber dennoch braucht jeder User einen Account, damit sie sich untereinander vernetzen können. Leute mit Account können dann jeden Client nutzen, den sie möchten, aber nur Leuten folgen, die auch einen Account haben.

Ich schätze, dass lediglich 20-30% der Leute, mit denen ich auf Twitter kommuniziere, bereit sind 50$ jährlich für ein solches Service zu zahlen. Diese sind es auch, die auf frei Clientwahl bestehen. Ich gehöre dazu. Meine Bereitschaft zu zahlen schwindet aber schnell, wenn ich mit der Hälfte der Menschen, die mir wichtig sind, nicht mehr kommunizieren kann.

Mit dem momentanen Setup, dass jeder zahlen muss, gehe ich davon aus, dass sie im Idealfall ein low noise, sehr techy und semi private Forum schaffen, wo sich die gleichen Leute tummeln, die auch sonst in vielen Alphas und Betas von Consumer Social Networks zu finden sind. Momentan liest sich der Global Feed sehr ähnlich wie der von identi.ca in einem ähnlichen Stadium. Da ist es spannend Teil von zu sein, aber eben auch dieses Pseudoelitengefühl. Spaßaccounts wird es eher nicht geben. Ich nutze momentan sechs Twitter Accounts mehr oder weniger aktiv. Vier davon als persönliche Accounts. Einer semi-automatisch befüllt, einer mit high volume bursts und zwei normale. Bei app.net müsste ich 200$ im Jahr zahlen. Würde ich nicht. Also nur ein Account. Zugleich würde die Gebühr viel Spam unterbinden, weil es sich nicht mehr rentiert, wenn man dafür zahlen muss. Auf der anderen Seite könnte es sich rentieren, wenn die Aufmerksamkeit dort wesentlich höher ist. Oder man mit einer Gebühr mehrere Accounts erstellen könnte.

Ein Vorschlag den ich las: jedem zahlenden Mitglied ermöglichen 5-20 Follower die Nutzung ermöglichen. Halte ich für unrealistisch. Kann dann die Person, die zahlt, die die er nicht mag wieder rauswerfen? Was passiert, wenn sie nicht mehr zahlt? Und ähnliches.

Ein anderer Vorschlag, der mir besser gefällt, sind free accounts. Dadurch verliert man allerdings wieder viele Vorteile, die durch zahlende Mitgliedschaften entstanden. Aber das eigentliche Ziel ist lediglich ein Service, das nicht von Werbung abhängig ist. Würde man free Mitgliedern Werbung zeigen? Dann wäre die ganze Idee unterlaufen.

Von den vagen Ideen von Revenue Sharing mit Developern halte ich sehr wenig. Das erzeugt viel Komplexität bei wenig Nutzen. Außerdem regt es an, das ganze zu missbrauchen. Ich zahle gerne für gute Apps. Daher glaube ich auch nicht, dass die App Entwickler über andere Kanäle vergütet werden müssen. Natürlich erzeugt es interessante Modelle, weil ein anderer Wettbewerb entsteht. Aber ich glaube nicht, dass der gut ist.

Vielleicht wird es etwas ähnliches wie Quora. Tolle Community, aber keine Massenadaption. Für Marketing ist es zugleich spannend und nutzlos. Je nachdem was man möchte, erreicht man eine bestimmte Personengruppe, aber nicht große Massen.

Der Nutzen, weshalb ich momentan gerne mitspielen würde, sind die Leute, die sich im Moment anmelden. Mit denen austauschen und für eigene Dinge begeistern. Wenn ich nochmal drüber nachdenke eher doof.

Das wird nix. Leider.


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Kommentare

3 Antworten zu „Social vs. Service“

  1. Avatar von bobschi

    Hm, ich stell mir die Frage schon einige Zeit: to back, or not to back? Im schlimmsten Fall wird daraus gar nichts, im besten Fall ein Netzwerk mit Leuten, mit denen ich ohnehin schon über Twitter in Verbindung stehe. :/

    1. Avatar von Luca Hammer

      Twitter hat ein paar doofe Entscheidungen getroffen, aber ich glaube (noch) nicht, dass sie es komplett verhauen. Daher hast du sehr recht.

  2. […] für Twitter entwickeln und auf breiter Ebene Akzeptanz finden könnte (so etwa MG Siegler und Luca Hammer). So berechtigt diese Kritik ist, es wird langsam Zeit, sie zu widerlegen. Das Social Web braucht […]

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