Buch: Kritik der vernetzten Vernunft

Der Autor Jörg Friedrich schickte mir am 18. Juni um 18:34 eine Nachricht auf Facebook. Ob ich Interesse an seinem Buch hätte. Er könnte es mir als PDF schicken. Veröffentlicht würde es im Monat darauf werden. Ich antwortete eine Stunde später knapp, dass ich gerne reinschaue, aber nicht weiß wann ich Zeit finde. Startup und so. Eine weitere Stunde verging und ich lud das Buch in iBooks und Kindle auf meinem iPhone. Wo es bis zum 13. August unberührt warten musste. Denn da schrieb mich Jörg erneut an und fragte, ob ich Zeit gefunden hätte, mal reinzuschauen. Ich antwortete nicht, sondern setzte mich mit iPhone auf den Balkon und begann zu lesen. Zwei Tage später war ich durch, hatte das Buch aufgesogen und auf durchschnittlich jeder fünften Seite ein digitales Eselsohr gemacht. Weil mir etwas besonders gut gefallen hat, ich das Verlangen hatte, etwas dazu zu sagen oder weil ich etwas einfach für markierenswert hielt. Dann setzte ich mich hin und versuchte meine Gedanken in Einsen und Nullen zu gießen und Jörg zu schicken. Und weil mir das Buch so gut gefallen hat folgt nun der Blogpost dazu. Ebenfalls mit Stücken aus dem Buch und meinen Gedankenfetzen dazu.

Dritter Versuch den Beitrag fertig zu schreiben. Mein Kopf ist Chaos. Das erste Mal abgelenkt, das zweite Mal Panik.

Titel und Aussehen

Philosophie für Netzbewohner? Auch wenn ich Kruses ‘digital resident’ dem in meinen Augen verwaschenen ‘digital native’ vorziehe, fühlt sich das falsch an. Hängt vermutlich mit meiner allgemeinen Ablehnung Abgrenzungen gegenüber zusammen. Aber der Untertitel sagt wenig über ein Werk aus, wie wir von Tobors ‘Sitzen vier Polen im Auto – Teutonische Abenteuer’ wissen. Und ‘Kritik der vernetzten Vernunft’ klingt gut. Finde ich auch nach dem Lesen noch. Vor allem, weil im Vorwort geklärt wird, dass es um Kritik im neutralen philosophischen Sinne und nicht im negativen umgangssprachlichen geht.

Muss ich zum Cover etwas sagen? Ein Mann mit Vollbart in Denkerpose auf zwei Computern sitzend mit Laptop auf dem Schoß. Rly? Vielleicht ist es ironisch gemeint. Im ursprünglichen Sinne, dass vorgetäuscht wird, man aber davon ausgeht, dass die eigentliche Aussage verstanden wird. Irgendwas mit Denken und Computern. Aber ich kannte das Cover nicht. Ich hatte ein schlichtes PDF und fand das super. Ob sich schlichte PDFs verkaufen, weiß ich nicht. Aber es würde sich zwischen Wissenschaftsbüchern wohler fühlen. Auch weil Friedrich, oder soll ich Jörg schreiben, zu Beginn erwähnt, dass es nicht darum geht etwas leicht verdauliches zu schaffen. Lieber würde er mit Kant diskutieren. Wobei der das alles nicht verstünde. Vermutlich. Jedenfalls sollte man sich vom Cover nicht abschrecken lassen. Wenn ihr mir ähnlich seid, werdet ihr sowieso die Kindle (13,99€) oder ebook (auch 13,99€, epub&PDF) Version kaufen. Da ist das Cover dann nicht mehr so wichtig. Langsam zum Inhalt kommen? Ok.

Inhalt

Schreiben hilft mir meine Gedanken zu strukturieren. Jedoch wurde auf den 180 Seiten so viele angestoßen, dass es mir schwer fällt sie in einen Beitrag zu quetschen. Jedem einzelnen gebührt ein eigener. Ich werde mich daher mit Fragmenten begnügen. Aus dem Buch und meinem Kopf. Entschuldigt bitte, wenn ich manchmal etwas durcheinander bringe oder das ganze bei euch nicht mehr so sinnvoll wie es mir beim tippen erscheint.

Das Buch orientiert sich an Kant und was er sich so fragte. Aber das wisst ihr sicher schon vom Titel. Die Kapitel lauten also: ‘Was kann ich wissen?’, ‘Was soll ich tun?’, ‘Was darf ich hoffen?’ ((Oxford Komma? Oder nicht? Irgendwann schaffe ich es.)) und ‘Was ist der Mensch?’.

Auch wenn Friedrich nicht für die breite Masse schreibt, ist das meiste gut verständlich und angenehm geschrieben. Einige Gedanken sind komplex, aber da muss man sich dann halt genauer damit beschäftigen.

Was kann ich wissen?

Wetterapps. Friedrich zeigt daran auf, wie viel wir annehmen und beginnt ein Hinterfragungsreise. Da steht eine Temperatur auf dem Display. Diese akzeptieren wir normalerweise wie sie ist. Wenn sie in Frage gestellt wird, dann kratzen wir an der Oberfläche. Wir haben eine ungefähre Ahnung, wie sie zustande kommt. Irgendwo wird sie gemessen und über Server verteilt bis sie dann angezeigt wird. Wo sie gemessen wird, wissen wir nicht. Wir können uns auch nicht sicher sein, dass sie gemessen wird. Vielleicht ist sie nur berechnet. Und kennen wir den Code von Messtation, Server und App, um sicher sein zu können, dass auch das richtige angezeigt wird. Manche Dinge kann man nachforschen, andere nicht. Wir vertrauen der App, wenn sie konstant passende Dinge anzeigt. Wir können sie auch mit eigenen Messinstrumenten vergleichen, bei denen wir uns aber wiederum nicht sicher sein können, ob sie auch richtig messen. Und wie misst man? Im Schatten, in der Sonne. Da ist dann noch Wind, unterschiedliche Höhenlagen und vieles mehr. Alleine, dass man für eine gesamte Stadt eine Temperatur bekommt macht schon klar, dass es nicht an jedem Ort der Stadt diese Temperatur haben kann. “Technik reduziert die Vielfalt und Komplexität” (S38). Das Wissen und Vertrauen entsteht durch die Verwebung der unterschiedlichen Informationen.

Net und Web

Friedrich beschreibt das Netz als etwas strukturiertes. Es gibt Knoten, die miteinander verbunden sind und klare Wege. Zahlreiche, aber dennoch klar. Das Web bzw., der mir liebere Begriff, Gewebe legt sich um das Netz herum. Bis hin, dass es ein Flies ergibt. Viele winzige Strukturen, die alles zusammenhalten.

Dieses Begriffspaar zieht sich durch das gesamte Buch durch und ich finde es sehr großartig. Es hilft Dinge besser zu verstehen. Aber ich schaffe es noch nicht, es prägnant zu beschreiben.

Wildnis, Natur, Kultur, Künstlichkeit

Mehr tolle Begriffe. Ich versuche es einmal. Der Mensch hält Natur manchmal fälschlicherweise für Wildnis. Wildnis ist unberührt, Wildnis ist gefährlich. Natur ist kontrollierte Wildnis. Wir gehen in die Natur, um uns zu erholen. In der Wildnis wäre das nicht möglich.

“Künstlichkeit entsteht auch durch den Versuch, die eigene Kultur zugunsten einer anderen aufzugeben.” (S76)

Welt, Wirklichkeit, Realität

Die Welt ist das in unserem Kopf. Die Wirklichkeit, der Teil der Realität, den wir begreifen, auf den wir einwirken können. Die Realität bleibt für uns unerreichbar. Wir halten unsere Welt manchmal für die Realität.

“Kein Kraut ist von sich aus Unkraut.” (S81)

Virtuell

Wie lange habe ich mich mit dem Begriff geschlagen. Immer wieder Menschen, die mir vorwarfen, dass das Internet nur virtuell ist. “Das ist ja nicht echt.”. Ich versuchte die Grenze zu ziehen indem ich ‘virtuell’ für Spiele nutzte. Tatsächlich sind diese jedoch fiktiv. Virtuell ist etwas anderes.

“Virtuell heißt, dass etwas nicht physisch das ist, was man zunächst erwarten würde, dass es aber genauso wirkt.” (S83)

Eine virtuelle Gesprächsrunde. Es ist keine Gesprächsrunde, aber es wirkt genauso. Beides ist echt. Für die virtuelle Gesprächsrunde fehlt uns lediglich die entscheidende Bezeichnung. Vielleicht auch, weil es noch nicht ganz klar ist, ob es auch das bleibt oder ist. Virtuelles Laufwerk. Da ist kein Laufwerk im Computer. Aber es wirkt so.

“Vielleicht hat man in der Zeit der Erfindung und Verbreitung des Telefons ein Telefonat als virtuelles Gespräch bezeichnet, [..]” (S84)

Reduktion der Möglichkeiten

Wollen heißt sich selbst mögliche Wege zu verbauen. Ich will ein Startup gründen, also lehne ich alles andere ab und habe keine andere Möglichkeit mehr. Ablenkung reduzieren, sodass man nur das eine machen kann. Seite 111 und folgende.

Politisches Handeln

Friedrich schreibt (S117), dass politisches handeln immer die Leiblichkeit braucht. Da möchte ich damit widersprechen, dass wir in einer Mediokratie leben, in welcher die Medien eine entscheidende Rolle tragen. Ein Protest auf der Straße wird von den Medien aufgegriffen und über die Anzahl der Protestierenden, misst die Politik dem Ereignis Relevanz zu. Aber auch über die Zustimmung in der Bevölkerung, die meist über die Medien ausgedrückt wird. Und die Medien beeinflussen die Meinung der Bürger, darüber was und wie sie berichten. Bei der Netzpolitik stimme ich Friedrich zu, dass sie wenig Erfolg hat, wenn sie nur im Netz statt findet. Bei anderen Themen wage ich jedoch zu sagen, dass es sehr wohl möglich ist politisch im Netz zu handeln. Friedrich geht im Buch davon aus, dass sich die Menschen online so in Gruppen aufteilen, dass sie sich gegenseitig bestätigen und gar nicht mehr mitbekommen, dass die Mehrheit der Bevölkerung, eine andere Sichtweise hat und nicht erreicht wird. Natürlich gibt es die Möglichkeiten des Blockens und Ignorierens. Die gibt es jedoch bei der Leiblichkeit auch. Sobald ich das Protest sehe, drehe ich um und mache etwas anderes. Den Erstkontakt muss ich online auch haben, um zu wissen, wen ich meide. Gerade auf Twitter und Facebook sind es selten homogene Netzwerke. Bei einzelnen Themen vielleicht, aber bei vielen anderen nicht. Was auch der Grund ist, warum sich viele Menschen online nicht zu Politik äußern. Weil sei wissen, dass ihre Kontakte eine andere Meinung haben und sie wollten die Verbindung nicht gefährden. Aber wenn ihnen etwas wichtig ist und sie es posten kommen sie auch dort zum, auch von Friedrich als wichtig bezeichneten, Diskurs. Immer wieder sehe ich es bei Facebookposts wie Menschen unterschiedliche Standpunkte vertreten. Und Hacker können auch den digitalen Alltag stören, indem Regierungsseiten oder Online Shops beeinflusst werden. (Hier habe ich immer Bedenken der Beeinflussung von Außenstehenden, dies ist aber beim Protest auf der Straße auch der Fall.)

Unbekannte Leid

Wir sehen Veränderung meist als Verbesserung. Es gibt ein Problem, das wir zu lösen versuchen. Doch bei keiner Lösung gibt es eine Garantie, dass es keine anderen Auswirkungen als die Lösung des Problems gibt. Das sogenannte unbekannte Leid. Beispiele findet man überall. Fortschritt bringt meist Komplexität mit sich. Autos waren früher gefährlich und unzuverlässig. Der Fortschritt machte sie sicherer und zuverlässiger. Dafür ist es nahezu unmöglich etwas selbst zu reparieren. Ein unbekanntes Leid könnte also die Abhängigkeit sein. Friedrich geht noch viel weiter und hat gute Beispiel. Ich muss mich selbst noch länger damit auseinandersetzen. Vor allem, weil ich bisher Fortschritt teilweise unhinterfragt positiv gegenüberstand. Gerade Auswirkungen auf die persönliche Lebenswelt sind spannend. Direkte Auswirkung, die ich momentan spüre ist die Möglichkeit durch den Computer und Internet von überall zu arbeiten, was bei mir zu Folge hat, dass ich teilweise an der Arbeit verzweifle, weil mir das direkte zusammen sitzen und etwas erledigen fehlt. Sehr komplex alles.

Unmöglichkeit von Multikulti

Multikulti selbst ist eine neu geschaffene Kultur. In der zwar bestehende Parktiken diverser Kulturen vorkommen, aber die eigentliche Kultur ist eine neue. Dies ist nichts negatives. Ausgangsgedanke für Internetkultur. Hier wird etwas neues geschaffen. Beim Entstehen einer neuen Kultur imitiert man meist bestehende und es kommt nur durch das Tun neues hinzu. Kommentarkultur mit bestimmten Erwartungen. Und so weiter.

Fazit

Ich werde das Buch noch öfter zur Hand nehmen. Bestimmte Stellen wieder und wieder lesen und vielleicht noch den einen oder anderen Beitrag dazu schreiben. Ich finde die Gedanken großartig und vor allem das klare Definieren von Begriffen hilft mir sehr Dinge zu verstehen und zu beschreiben.

Und jetzt freue ich mich auf das Treffen mit Friedrich um diverse Gedanken weiter zu besprechen.

Was andere über das Buch schreiben: Wechselwetterwolken, the drink tank, natur des glaubens, MünsterscheZeitung;

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Kommentare

2 Antworten zu „Buch: Kritik der vernetzten Vernunft“

  1. […] seiner sehr freundlichen Besprechung der “Kritik der vernetzten Vernunft” kommt auch Luca Hammer, wie vor ein paar Wochen […]

  2. Avatar von Sven

    na, das scheint ja ein echte inhaltliche Wuchtbrumme von Buch zu sein, wenn ein gestandener Blogger erstmal mehrere Anläufe braucht um seine Gedanken wieder zu sortieren.

    Bestellt ist es, ich traue mich nur noch nicht…
    ;-)

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