Filmkritik: ENEMY

90 Minuten | Filmstart in Deutschland: 22.05.2014

Die erste halbe Stunde verlangt Durchhaltevermögen, aber sie ist nötig, um in vom Film gefangen zu werden.

Denis Villeneuv musste Warner überreden vor ‚Prisoners‘ einen weiteren Film drehen zu können. Mit dem gleichen Hauptdarsteller und einem Bruchteil des Budgets. Als Übung, da er bisher mit einer Ausnahme alle Filme auf Französisch gedreht hatte. Das Ergebnis ist ‚Enemy‘ und auch wenn die kanadisch-spanische Produktion kein Millionenpublikum erreichen wird (in den ersten neun Wochen wurde eine Million US Dollar eingespielt) lohnt sich der Besuch des rätselaufwerfenden Thrillers mit wenigen Schockmomenten, surrealen Spinnen und Sex.

Lesen Sie diese Kritik nicht bevor Sie den Film gesehen haben. Auch wenn große Spoiler vermieden werden, reduziert jeder Hinweis, jede Interpretation, das Filmvergnügen. Schauen Sie keinen Trailer und lesen sie keine Beschreibung, sondern setzen sie sich ohne Erwartungen in die nächste Vorstellung.

Kontrolle durch Wiederholung. Adam ist Geschichtsprofessor an einer Universität. Wie vom Tonband spielt er seine Vorlesungen ab. Abends korrigiert er Aufgaben und hat Sex mit seiner Freundin. Am nächsten Tag das gleiche Spiel mit geringen Abweichungen. Sein Leben ist gezeichnet von mühseligen Längen ohne jeglichen Höhepunkten. Außer dem Sex verbindet ihn wenig mit der Frau, mit der er zusammen lebt. Als ihm ein Arbeitskollege in einem stockenden Gespräch einen Film empfiehlt und er ihn auf dem Heimweg ausleiht erfährt sein geregeltes Leben eine Erschütterung. Im empfohlenen Film sieht ihm ein Nebendarsteller erschreckend ähnlich. Nach einem Alptraum beginnt er eine obsessive Suche nach ebendiesen Schauspieler und findet ihn.

Enemy wurde inspiriert vom Roman ‚Der Doppelgänger‘ des Nobelpreisträgers José Saramgo. Wird man vom Film statt mit Auflösungen, mit noch mehr Rätseln zurück gelassen, schließt das Buch den zentralen Handlungsstrang ab, um am Ende einen neuen zu öffnen. Beide Manifestationen der gleichen Idee lassen genügend Interpretationsspielraum für das Publikum.

Der Feind ist man selbst. Jake Gyllenhaal, der seinen Durchbruch 2001 mit dem ähnlich diskussionswürdigen und zum Kulthit gewordenen ‚Donnie Darko‘ schaffte, liefert eine großartige Leistung ab. Er spielt sowohl Adam als auch Anthony, wobei auf markante visuelle Unterschiede verzichtet wurde. Beide Protagonisten tragen einen markanten Bart und die gleiche Frisur. Lediglich die Kleidung unterscheidet sich. Da diese mehrfach gewechselt wird, dient sie nicht als konstantes Unterscheidungsmerkmal. Gyllenhaal schafft es durch feine Änderungen bei der Bewegung und Sprache direkt das Unterbewusstsein anzusprechen, sodass man instinktiv fühlt, um wen es sich handelt, ohne dass man es explizit an etwas festmachen kann. Anthony ist dominanter und selbstsicherer, während Adam eine gewisse Unsicherheit, teilweise Angst ausstrahlt.

Adams distanzierte Freundin Mary wird von Melanie Laurent, bekannt als Shosanna Dreyfuss in ‚Inglourious Bastards‘, verkörpert. Nach missglückten Sex fragt Adam sie, ob alles in Ordnung ist, woraufhin sie erst schweigt und ihm dann mitteilt, dass sie sich am nächsten Tag wieder sehen würden. Im Verlauf des Films fallen ihr kleinste Veränderungen auf, was zu weiteren Problemen führt

Anthonys Frau Helen, gespielt von Sarah Gadon, ist im sechsten Monat schwanger. Sie leidet unter der fehlenden Empathie ihres Mannes, der sie betrügt und Mitglied eines exklusiven Sexclubs ist.

Adam und Anthony werden nie gemeinsam von Dritten gesehen. ‚Fight Club‘ drängt sich als Vergleich auf und auch hier weist es auf einen inneren Konflikt hin. Adam fährt ein älteres Familienauto. Anthony Motorrad. Adam ist zurückhaltend, Anthony dominant. Bei ihrem ersten Treffen stellen sie fest, dass sie bis zum kleinsten Detail körperlich ident sind. Weitere Hinweise liefert ein zerrissenes Foto, das Adam an den Bildschirm hält, um seine Ähnlichkeit mit Anthony besser prüfen zu können. An dieser Stelle muss auf das großartige Filmplakat verwiesen werden (Gyllenhaals Kopf mit Stadt und Spinne), welches mehr Dinge erklärt als der gesamte Film.

Enemy ist gefüllt mit Metaphern und selbst eine. Die Schauspieler haben einen Vertrag unterschrieben, der ihnen untersagt über mögliche Interpretationen zu sprechen. Lediglich Regisseur Denis Villeneuve gibt in diversen Interviews Hinweise, wie bestimmte Dinge gelesen werden können. Doch er möchte es dem Publikum gar nicht einfach machen, sondern das Spiel mit dem Publikum und dessen Verwirrung gehört explizit zu seinen Ziele. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass gewisse Längen und Einstellungen an Stanley Kubricks, ein Vorbild Villeneuves, ‚2001: A Space Odyssey‘ erinnern. Jedoch fern des Weltraums und Farbenspiels. Stattdessen tolle Aufnahmen von Toronto, welche durch Matte Paintings erweitert wurden. Das Surreale ist teilweise versteckt, etwa im Leitungsnetz der Stadt, und teilweise unübersehbar im Fokus, riesige Spinnen.

Die Technik des Films verdient, auch aufgrund des im Vergleich zu andern Filmen geringen Budgets, besonderes Lob. Neben den beeindruckenden Aufnahmen hat das kanadische Unternehmen Rodeo FX 60 visuelle Effekte geschaffen und ist auch für die Doppelung von Jake Gyllenhaal verantwortlich. Die öfter auftauchenden Spinnen sind eine Kombination aus echten Spinnen und Computervisualisierung.

Der Soundtrack wurde von Danny Bensi und Saunder Jurriaans beigesteuert und unterstreicht die unterschiedlichen Stimmungen angemessen. An manchen Stellen drängt er sich jedoch in den Vordergrund, sodass das Publikum beinahe keinen Platz mehr hat.
Enemy ist ein Film für Menschen, die für wunderschönen Filmaufnahmen Faszination empfinden und sich am Füllen von Metaphern sowie Lösen von Rätseln erfreuen.

(Entstanden im Rahmen des Workshop: Film- und Fernsehkritik bei Skadi Loist an der Universität Paderborn. Unkorrigierte Fassung.)


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