Wir schreiben das Jahr 2009 ((Ist es nicht komisch, dass wir unsere Zeitrechnung an einem Propheten festmachen?)), Zeitungen haben es in Österreich immer schwieriger, die Auflagen gehen zurück und die Anzeigenpreise sinken. Schuld ist das Internet. Und die Politik. Und die Gesellschaft. In einem kleinen Ort in Vorarlberg hat sich die Elite der Holzmedien zum Mediengipfel „Kapital, Kollaps, Kapitulation – Hat Qualitätsjournalismus in den USA, in Europa und in Österreich Zukunft?“ getroffen. An mir ist die Veranstaltung vorübergegangen bis ich einen Tweet von Chorherr gelesen habe, der Blogger dazu auffordert, sich mit dem Prolog von Oscar Bronner auseinander zu setzen. Nachdem ich die Rede furchtlos gelesen habe, hat es schon in meinen Fingern gezuckt und da ich öfter schreiben möchte ((Sideblog 1x pro Tag, Gold Feed 1 pro Woche)), habe ich mich in ein Kaffeehaus gesetzt und damit begonnen Oscar Bronners Worte zu strukturieren und daraufhin zu kommentieren und kritisieren.
Bild: mfophotos – Ausgabe der Ann Arbor News, welche es inzwischen nur noch online gibt.
Paradigmenwechsel?
Oscar Bronner kritisiert, dass zu oft über alles oder nichts gesprochen wird, anstatt über die Verteilung. Er meint, dass er bewiesen hat, dass es in Österreich einen Bedarf für Qualitätsjournalismus gibt und möchte weiter schlussfolgern, dass es auch in Zukunft einen Bedarf für Zeitungen geben wird. Positiv ist hier anzumerken, dass er darauf eingeht, dass es sich in Zukunft möglicherweise nicht um bedrucktes Papier handelt sondern die Inhalte „elektronisch auf eine Folie übermittelt“ werden.
Laut Oscar Bronner wächst der Zeitungsmarkt weltweit, auch wenn er eingestehen muss, dass er in den saturierten Märkten schrumpft. Das Wachstum in anderen Ländern deutet er als positives Zeichen für den Zeitungsmarkt im allgemeinen, weil es dort ja bereits Internet gibt. Ich würde es eher als Zeichen dafür sehen, dass dort eine Entwicklung erst durchgemacht wird, die bei uns schon abgeschlossen ist. Warum sollten dort die Zeitungen nicht wachsen bis der Markt saturiert ist und dann wieder schrumpfen, weil andere Medien ihre Funktionen übernehmen?
Zeitungen wurden schon öfters totgesagt, zuletzt 2000, meint Oscar Bronner. Ob er damit sagen will, dass totgesagte länger leben? Das gleiche ist mit dem Theater und dem Kino passiert, welche nun möglicherweise das Fernsehen sogar überlegen, weil dieses einfacher durch Computer und das Internet übernommen werden kann. Die Funktionen bleiben jedoch erhalten. Wie groß ist der Unterschied zwischen Fernsehen zu Web und Zeitung zu Web? Könnte es nicht sein, dass das Buch die Zeitung überlebt, die Zeitung aber das Web nicht?
Pferdekutschen hatten die Funktion Personen und Güter von einem Ort zu einem anderen zu bringen. Autos konnten diese Funktion effektiver übernehmen und haben somit die Pferdekutschen in diesem Bereich ausgestochen. Geben tut es Kutschen immer noch, jedoch erfüllen sie heute andere Funktionen.
Das Internet kann Informationen wesentlich effizienter übertragen als bedrucktes Papier. Daher ist es für mich keine Frage, ob die Zeitung als Holzmedium aussterben wird. Doch das hat, wie bereits erwähnt, Oscar Bronner auch erkannt und er spricht von elektronischer Übertragung. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist also nicht die nach dem Aussterben der Zeitungen, sondern ob das Web (Unterschied Web-Internet) die Funktionen des Journalismus und im speziellen des Qualitätsjournalismus übernehmen kann. Doch dazu mehr am Ende dieses Artikels.
Argumente für Zeitungen
Oscar Bronner mischt im Prolog leider das Trägermedien Zeitung mit Journalismus. Ich werde dennoch versuchen auf alle Punkte einzugehen. Jedoch mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen.
Griffbereit
„Die Zeitung ist immer griffbereit – gleichgültig ob wie seit Jahrhunderten auf Papier gedruckt oder vielleicht einmal elektronisch auf eine Folie übermittelt.“
Oscar Bronner übersieht bei dieser Aussage einen ganz entscheidenden Punkt. Das Web habe ich bereits seit Jahren griffbereit. Seit dem iPhone sogar angenehmer denn je. Die Zeit, in der man einen stationären Computer gebraucht hat, um in das Internet einzusteigen, um im Web Informationen zu bekommen, ist vorbei. Ich sitze gerade in einem Kaffeehaus, das keine Zeitungen aufliegen hat, aber ich habe meinen Laptop vor mir, der per WLAN mit dem Internet verbunden ist. Ich suche Hintergrundinfos für diesen Artikel und schreibe ihn direkt online. In Zukunft wird es möglich sein als Leser live dabei zu sein, wie ich ihn schreibe und jeden einzelnen Buchstaben in Echtzeit übertragen zu bekommen.
Ich frage mich was griffbereiter ist? Das Mobilgerät, mit dem ich überall Zugriff auf das größte Informationsarchiv der Welt habe oder die gedruckte Zeitung, die mir eine begrenzte Anzahl an Artikeln bietet. Selbst wenn ich nun eine digitale Zeitung habe, wäre diese mit hoher Wahrscheinlichkeit begrenzt. Sollte die Zeitung wie andere Webinhalte verfügbar sind, macht es keinen Unterschied mehr. Das Web und die Zeitung ist gleichermaßen griffbereit.
Entschleunigung
Mit der Zeitung setzt man sich entspannt in seinen Lesesessel und hat somit die Ruhe sich mit den Inhalten ausführlich auseinanderzusetzen.
Kann es sein, dass Oscar Bronner mit dieser Annahme über ein Wunschdenken spricht und die Realität ausblendet. Egal ob ich meinen Laptop oder eine Zeitung vor mir habe, bleiben die Einflüsse von außen gleich. Ein Radio im Hintergrund, Verkehrslärm, schreiende Nachbarn und die ratternde Waschmaschine. Aber nur auf die äußeren Einflüsse einzugehen, wäre zu einfach. Eine gedruckte Zeitung und ein Computer haben Unterschiede, die von innen kommen.
Die Zeitung war bisher statisch. Keine Werbebanner, die sich bewegen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder Meldungen von anderen Programmen, die sich in den Vordergrund drängen. Neue Email, neuer Tweet, Facebook Nachricht. Doch hier liegt es am Leser, ob er bewusst lesen möchte oder nicht. Ich kann auch neben dem Zeitungslesen den Fernseher anhaben, telefonieren, den Computer anhaben. Am Computer muss ich bewusst die störenden Programme ausschalten, wenn ich etwas lese. Werbebanner kann man durch Werbeblocker ausschalten oder mit dem großartigen Bookmarklet „Readability“ fast jeden Inhalt in ein ansprechendes Layout geben. Auch RSS-Reader helfen dabei, sich auf die Inhalte selbst zu konzentrieren.
Im Web habe ich noch das Problem von Links, durch welche ich schnell vom hundertste ins tausendste komme. In der gedruckten Zeitung habe ich erst gar nicht die Möglichkeit an solche Zusatzinformation zu bekommen. Das hilft sicherlich, mich auf den Text selbst zu konzentrieren, jedoch entgeht mir dadurch die Möglichkeit mich tiefer mit dem Thema zu beschäftigen, wenn der Artikel selbst einmal nicht befriedigend ist.
Entschleunigung ist eine Entscheidung, die man sowohl in der Offline als auch in der Online Welt treffen muss.
Vertrauenswürdiges Team
„[]…einmal am Tag aus dem Überangebot an Informationen eine je nach Blatttyp für den Leser relevante Auswahl herausfiltert, einordnet und analysiert.“
Wodurch entsteht Vertrauen? Indem man weiß wer schreibt und über die Zeit immer wieder subjektiv als gut empfundene Qualität bekommt. Kann dies nur in einer gedruckten Zeitung entstehen? Welche Rolle spielt die Institution Zeitung?
Eine Redaktion gibt mir durch journalistische Grundregeln, wie etwa einem Gegencheck durch eine zweite Person, mehr Sicherheit als ein Blogger der alleine arbeitet und nicht jeden Artikel von jemanden gegenlesen lassen kann, bevor er ihn veröffentlicht. Doch wird da nicht etwas vergessen, das die Dynamik von Blogs ausmacht? Die Leser. Eine Zeitung mag tausende Leser haben, auch wenn hundert von ihnen die Redaktion auf einen Fehler hinweisen, wird der Großteil der Leser nie von diesem Fehler erfahren. Es sei denn es wird in der nächsten Ausgabe eine Richtigstellung abgedruckt. In einem Blog können Leser sofort auf Fehler hinweisen und alle nachkommenden Besucher bekommen diese Information. Man bekommt mehr Sichtweisen als es für eine Zeitung jemals möglich ist.
In einzelne Blogger, Webjournalisten, wasauchimmer kann ich genauso Vertrauen aufbauen, als in einen Journalisten bei einer klassischen Zeitung. Das Trägermedium macht hierbei keinen Unterschied.
Selektion
„overnewsed but underinformed“
Das Web bietet zu viele Informationen und der Leser ist dadurch überfordert. Kein neues Argument, das zu einem gewissen Grad stimmt, aber bei genauerer Betrachtung nicht stand halten kann.
Betrachte ich das Web von außen, habe die blanken Zahlen von mir und weiß, dass in jeder Sekunde tausende Meldungen veröffentlicht werden, dann kann ich nur zu der Folgerung kommen, dass es zu viele Informationen gibt und man um zu relevanten Artikeln zu kommen, viele unnötige zu Gesicht bekommt. Hat Oscar Bronner einmal versucht alle Zeitungen, die in einer Woche veröffentlicht werden, zu lesen? Greift man eine Zeitung heraus, dann ist diese gefüllt mir fein selektierten Artikeln. Eine Redaktion hat sich darüber Gedanken gemacht, was für die Zielgruppe relevant ist und was nicht. Greift man einen einzelnen Blog heraus, kann dies auch zutreffen muss aber nicht. Vor allem wäre es uninteressant, wenn man das Web auf eine einzelne Seite reduzieren müsste.
Hier geht es um Medienkompetenz. Ich bekomme jeden Tag eine Auswahl an hochrelevanten Artikeln, die nahezu exakt auf mich zugeschnitten sind. Wie das möglich ist? Mein RSS-Reader ist mit einer Auswahl an Blogs gefüllt, denen ich vertraue und die sich mit Themen beschäftigen, die mich interessieren. Diese verlinken hin und wieder auf andere relevante Blogs, die ich meinem Reader hinzufügen kann oder nicht. Doch das Web hat mehr zu bieten. Viel mehr. Über mein Netzwerk an Kontakten im Reader, Twitter und Facebook werden mir jeden Tag weitere Artikel zugespielt. Jeder liest unterschiedliche Blogs und hat ein anderes Netzwerk über das er Artikel bekommt. Zusammen werden dadurch zigtausende Artikel verarbeitet und die besten weitergetragen. Eine Selektionsleistung, die ein einzelner Menschen oder eine Redaktion niemals vollbringen könnte.
Unbekannte Themen
Oscar Bronner meint weiters, dass eine Zeitung immer wieder den Leser mit Themen überraschen und damit seinen Horizont erweitern würde. Ich weiß nicht, ob er damit auf hochspezialisierte Blogs abzielt, die nur ihr Nischenthema behandeln. Jedenfalls braucht es keine große Denkleistung, als darauf zu kommen, dass ein Netzwerk aus Menschen durch ihre Individualität auch immer wieder für Überraschungen sorgen kann.
Der Kuchen
„Da weder das Zeitbudget der Leser, Hörer, Seher oder User noch die Werbeetats endlos erweiterbar sind, muss sich das Internet seine Marktanteile von den anderen Mediengattungen holen, was logischerweise deren Schrumpfen bedeutet.“
Endlos erweiterbar sind sie nicht, aber mein Zeitbudget für Mediennutzung hat sich im Vergleich zu vor acht Jahren etwa verzehnfacht. Langsam komme ich an meine Grenzen, aber obwohl ich viel mehr Zeit mit Medien verbringe, lese ich inzwischen nicht mehr täglich Zeitung (Radio und Fernseher besitze ich erst gar nicht). In Zeitungen ist ein Bruchteil der Artikel für mich interessant. Während sich die Nutzung des Internets fast beliebig erweitern lässt, ist die Zeitung in ihrer Größe sehr begrenzt. Wenn ich an der letzten Seite angekommen bin, mein Verlangen nach Informationen aber nicht befriedigt ist, habe ich Pech gehabt. Im Internet kann ich gar mein Netzwerk bitten mir zu einem bestimmten Thema weitere Artikel zu empfehlen oder ich mache mich selbst auf die Suche. Das ist jedoch nur selten nötig, da ich ja bereits eine Vielzahl an Artikeln nicht nur täglich sondern durchgehend zugespielt bekomme. Die ich aber nicht lesen muss.
Das heißt jedoch nicht, dass ich nicht glaube, dass Journalisten einen Platz im Web haben. Im Gegenteil bin ich der Meinung, dass man durch die aktuelle Art der Verbreitung von Artikeln über Netzwerke es möglich ist, online wesentlich erfolgreicher zu sein als in einer Zeitung. Doch Journalisten müssen erst ihren Platz finden, weil es im Web niemanden interessiert, wenn Pressemitteilungen oberflächlich bearbeitet veröffentlicht werden. Origineller Content ist entscheidend. Schreibstil und Expertise ebenfalls. Doch auf die Möglichkeiten von Journalisten im Web will ich an dieser Stelle gar nicht näher eingehen.
Das Web stiehlt die Werbebudgets der Zeitungen.
Jein. Oscar Bronner spricht davon, dass Zeitungen sich trauen müssen, teurer zu werden. Zeitungen müssen sich aber auch trauen Werbung online teuerer zu verkaufen. Genauso wie Blogger. Online wird immer mehr Gewinn gemacht, doch Werbung ist günstig wie nie. Pay-per-Click ermöglich kostenlose Werbeflächen genau so wie Pay-per-Action. Man stelle sich eine gedruckte Werbung vor, die nach Umsatzplus der werbenden Firma bezahlt wird. Ich glaube, dass diese Arten der Werbung ihre Berechtigung haben, würde ich selbst als Firma auch damit arbeiten, doch die Preise dafür müssen steigen. Das Problem ist natürlich, dass eine Vielzahl an Online-Publishern froh ist, wenn sie irgendetwas bekommt, weil sie nicht davon abhängig sind und dadurch den Preis drücken. Zeitungen sind jedoch zu einem Teil davon abhängig.
Ich habe keine Lösung für dieses Problem parat, aber vielleicht hilft der nächste Punkt.
Kostenpflichtige Onlineangebote
Murdoch will seine Webangebote von den Usern bezahlen lassen. Sollte dies erfolgreich sein, werden die meisten anderen folgen.
Ich kann dies nur gut heißen und hoffe, dass es früher als später passiert. Es wird der ultimative Test sein, wie gut Zeitungen wirklich sind. Ob sie die Qualitäten bieten können, von denen sie ständig sprechen. Ob sie besser sind als die Blogger, die nicht von Geld abhängig sind.
Bei manchen Zeitungen wird es funktionieren, bei vielen anderen nicht. Wo es nicht funktioniert wird man versuchen wieder umzustellen. Eine Folge werden höhere Werbepreise sein. Wenn eine Zeitung nicht mehr von Werbung abhängig ist, kann sie es sich leisten hohe Preise zu verlangen. Dadurch bekommt sie mehr Einnahmen und kann Journalisten besser bezahlen, damit diese ihre wichtigen Aufgaben machen. Sie kann sich erlauben mit großen Firmen in Konflikt zu kommen und Politik zu kritisieren, weil sie nicht von Förderungen abhängig ist.
Ob es wirklich klappt, wird erst der Versuch zeigen. Klappt es nicht, zeigt es dass Zeitungen in der jetzigen Form nicht mehr gebraucht werden und das Web die Funktionen übernommen hat.
Ingredienzien des Qualitätsjournalismus
„Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, Wahrhaftigkeit, Lauterkeit, Fairness, Wahrung der Menschenwürde, Kommunikation mit den Lesern, Hörern, Sehern oder Usern auf Augenhöhe und ohne versteckte Agenda.“
Ich überlege mir diese Kriterien in das About meines Blogs zu schreiben. Das ist es, was ich mir von vielen Blogs erwarte und was ich bei vielen finde. Bei einigen Zeitungen jedoch nicht. Wenn das Qualitätsjournalismus ausmacht und der Meinung bin ich, findet man es im Web.
Besonders auf die Kommunikation mit den Lesern auf Augenhöhe möchte ich eingehen. Denn genau das passiert in den Kommentaren von Blogs. Natürlich gibt es Blogger, die auf ihre Leser herab sehen, aber wenn ich mir Zeitungen ansehe, dann gibt es diese Kommunikation nicht. Sehe ich mir die Kommentare beim STANDARD online an, dann würde ich es eher als Trollgrube bezeichnen als Ort der Kommunikation. So viel Feindlichkeit, Hass, Neid, Oberflächlichkeit findet man in Blogs nur selten. Was vermutlich auch daran liegt, dass die Autoren der Artikel nicht auf die Leser eingehen. Weil sie die Zeit nicht haben oder nicht bereit sind auf einer Augenhöhe mit den Menschen zu kommunizieren.
Wenn Oscar Bronner diesen Satz ernst meint, dann sehe ich der Zukunft von Zeitungen zuversichtlich entgegen. Vielleicht nimmt er sich ja auch die Zeit sich zu diesem Beitrag in den Kommentaren zu antworten. Einen Link werde ich ihm jedenfalls zukommen lassen und ich freue mich über jeden der es mir gleich tut.
Nun habe ich für diese Woche auch wieder genug gesagt und bin auf eure Meinung gespannt. Wie ihr wisst lese ich alle Kommentare und versuche auf sie einzugehen. Auf einer Augenhöhe.
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